Wie müssen sich Städte entwickeln, um erfolgreich zu bleiben?

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Innenstadt der Zukunft

Grafik: psynovec - stock.adobe

Wie können Städte auch in Zukunft attraktiv und damit belebt sein? Diese Frage stellten wir Prof. Dr.-Ing. Thomas Krüger, der das Arbeitsgebiet Projektentwicklung und Projektmanagement im Fachbereich Stadtplanung an der HafenCity Universität Hamburg leitet.Die Innenstädte haben aktuell mit großen Herausforderungen zu kämpfen, Stichwort Digitalisierung, Corona-Pandemie, Klima- und Verkehrswandel, Nachhaltigkeit, Gentrifizierung. Was sind die wichtigsten Folgen davon?In der Tat, die Innenstädte sind mit verschiedenen großen Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert. Dabei hat die Coronapandemie den Strukturwandel in Richtung Digitalisierung und Online-Handel, der schon vorher einsetzte, enorm beschleunigt. Aktuell kommt ja noch hinzu, dass sich infolge des Ukraine-Krieges und der Energiekrise ein Konjunktureinbruch abzeichnet, der den Konsum stark beeinträchtigen wird – und das im Weihnachtsgeschäft! Allerdings sind die Folgen der Lockdowns und Beschränkungen, also Geschäftsaufgaben und Leerstände, bisher geringer als zunächst zu befürchten war. Dazu haben vermutlich die finanziellen Hilfen der Bundesregierung und die Nutzung von Kurzarbeit maßgeblich beigetragen. Auch viele Vermieter haben Zugeständnisse machen müssen, darüber wird aber ungern gesprochen. In den letzten Monaten sind mit dem Ende der Beschränkungen die Passantenfrequenzen in den Innenstädten nahezu wieder auf das Vor-Corona-Niveau angestiegen. Das gilt allerdings nicht in gleichem Maß für die Umsätze im Einzelhandel, die wohl zum Teil im Online-Bereich bleiben. Wir sehen zunehmend Leerstände in großflächigen, mehrgeschossigen Objekten, Kaufhäusern und Shopping-Centern sowie verstärkt in den Nebenlagen. Die Flächen je Ladengeschäft werden überwiegend kleiner, auch bei den großen Ketten. Es wird nach und nach zu erheblichen Umbauten von Ladenflächen und im klassischen Einzelhandel zu einer Konzentration auf 1A-Lagen kommen.

Welche Chancen bieten diese Herausforderungen möglicherweise gleichzeitig?

Die guten Frequenzen in vielen Innenstädten zeigen vor allem, dass die Menschen gerne dorthin gehen! Sie wollen sein, wo etwas los ist und es Neues zu sehen gibt. Wo andere Menschen sind, wo man sich begegnet. Wo etwas anderes passiert als zu Hause, am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft. Dieser Wunsch nach Urbanität und realer Begegnung, zu dem auch gehört, dass einem nicht alles gefällt, was man sieht, ist eine Konstante. Er nimmt vielleicht im Zuge von immer kleineren Haushalten, digitalem Arbeiten und Kommunizieren sogar zu. Darin steckt eine große Chance für die Zentren, nicht mehr allein den Einkauf und Konsum in den Mittelpunkt zu stellen, sondern auch für andere Bedürfnissen der Menschen Räume und Angebote zu schaffen. Die Reduzierung der Mieten und die Reduktion von Einzelhandelsflächen bieten dafür neue Möglichkeiten.

Sie sprechen öfter von multifunktionalen Innenstädten. Was ist darunter zu verstehen?

Gemeint ist, dass neben dem Einzelhandel verstärkt Nutzungen etabliert werden, die die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen ansprechen: eine vielfältige Gastronomie, aber auch konsumfreie Orte und Treffpunkte. Kultur auf der Straße, nicht nur in Theatern und Museen, Bildungseinrichtungen bis hin zu Hochschulen im Zentrum, Räume für die lebendige Zivilgesellschaft, für die Vereine. Flächen, auf denen wechselnde Veranstaltungen stattfinden können. Die Innenstadt als Ort nicht nur des Konsums, sondern als Treffpunkt für die verschiedenen Menschen in der Stadt und als Ort verschiedener Angebote und sozialer Aktivitäten.

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Foto: Rimbach

„Mainz als Einkaufsstadt überzeugt mich, weil in meiner Heimatstadt, im Vergleich zu anderen Oberzentren, der Filialisierungsgrad noch relativ niedrig ist und ich in vielen individuellen und inhabergeführten Fachgeschäften einkaufen kann.“

Edith Willenberg-Sebastian, Juwelier Willenberg

In den typischen Innenstädten treffen verschiedene Akteure aufeinander: Filialisten, inhabergeführte Geschäfte, Restaurants, Kulturbetriebe, Geschäftsleute, Bewohner. Wie können sie alle gemeinsam dafür sorgen, die Städte attraktiv zu machen?

Es sind in der Tat sehr verschiedene Beteiligte. Es gilt zunächst, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sie alle, bildlich gesprochen, „in einem Boot sitzen“ und jeweils einen Beitrag zu einer interessanten, angenehmen und vitalen Innenstadt leisten können und sollten. Dabei muss die Kommune, die für das Gemeinwohl zuständig ist, eine führende Rolle einnehmen. Am besten die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister selbst sollten Impulse setzen und die Akteure miteinander in Kontakt und ins Gespräch zu bringen. Es gilt, eine Art Allianz oder Konzertierte Aktion für die Transformation der Innenstadt zu schaffen. Zugleich gilt es, die Ressourcen der Kommune zu mobilisieren, um sie in gemeinsam mit anderen Akteuren getragene Konzepte und Maßnahmen einzubringen. Die Kommunen haben viele Möglichkeiten: Sie können die Rahmenbedingungen verbessern, die öffentlichen Räume, die Infrastruktur, insbesondere für die Mobilität. Sie sind Ordnungs- und oftmals Baugenehmigungsbehörde. Sie haben eigene Einrichtungen mit relevanter Publikumsfrequenz und finanzieren solche im sozialen Bereich, in Bildung und Kultur zumindest teilweise. Sie tragen vielfach zum Stadtmarketing bei und fördern Events. Diese vielfältigen Möglichkeiten sollte die Kommune vor allem dann mobilisieren, wenn die Gewerbetreibenden, die Immobilieneigentümer, die Kulturschaffenden, die sozialen Einrichtungen und Träger ihrerseits Aktivtäten entwickeln, die zur positiven Entwicklung der Innenstadt beitragen. Beide, die privaten Akteure und die Kommune müssen aktiv werden und kooperieren. Eine solche Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure ist allerdings nicht einfach. Sie muss unterstützt und koordiniert werden. Dazu bedarf es eines Innenstadt-Managements.

Welche Rolle spielt die Erreichbarkeit von Innenstädten – Nahverkehr, Parkräume, etc. – für deren Erfolg?

Natürlich ist die Erreichbarkeit der Innenstädte zentral, mit dem Auto, dem Öffentlichen Verkehr, dem Fahrrad und zu Fuß. Allerdings muss vor allem die Aufenthaltsqualität verbessert werden. Dazu tragen die genannten Verkehrsträger in umgekehrter Reihenfolge bei. Wie das gelöst werden kann, hängt vom Einzelfall ab.

Gerade der zunehmende Onlinehandel bedroht vielerorts die Erfolge des lokalen Einzelhandels. Wie kann dieser der Gefahr für seine Geschäfte begegnen?

Abgesehen von besonders kunden- oder serviceorientierten individuellen Formaten führt zumindest an einer digitalen Auffindbarkeit oder Präsenz zukünftig kein Weg mehr vorbei. Unter dieser Prämisse können gute lokale Konzepte nach meiner Einschätzung auch zukünftig ohne komplette Digitalisierung, das heißt Nutzung eines Warenwirtschaftssystems mit Einbindung in einen digitalen Marktplatz, bestehen.

Am Schluss kurz zu Mainz. Wie bewerten Sie hier die Chancen für eine erfolgreiche Zukunft der Innenstadt und was sollten die Stadt und Ihre Akteure tun, um dafür die Weichen zu stellen?

Leider kenne ich Mainz nur von einem sehr kurzen Besuch, um mir den damals geplanten Standort für ein Shopping Center am alten Karstadt-Komplex anzuschauen. Man kann Mainz nur beglückwünschen, dass das so nicht gekommen ist. Stattdessen findet das Konzept für den Boulevard LU wegen seiner Multifunktionalität und Öffnung zur Umgebung bundesweit Beachtung und es wäre ein großer Gewinn für Mainz, wenn es auch so realisiert wird. Ansonsten bietet die Kleinteiligkeit der Innenstadt Potenziale für vielfältige Nutzungen auch jenseits des Einzelhandels. Schade ist, dass die Universität in Mainz offenbar vollständig auf dem Campus konzentriert ist. Das ist nicht gut für das universitäre Leben und auch nicht für die Stadt. Es wäre gut, wenn die Hochschule mit Einrichtungen in der Innenstadt präsent und aktiv wäre.

Das Interview führte Anke Gersie.

12. Rätselfrage:

Was bietet die Mainzer Citymeile den Gästen?

- Popcorn (B)
- Orientierung
- Artistik (D)

Zur Person

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Foto: HCU

Prof. Dr. Ing. Thomas Krüger leitet seit 2000 das Arbeitsgebiet Projektentwicklung und Projektmanagement im Fachbereich Stadtplanung an der HafenCity Universität Hamburg. Schwerpunkte der Forschung sind die Wechselwirkungen von Immobilien- und Stadtentwicklung, insbesondere in den Bereichen Wohnen, Gewerbe und Zentren, sowie neue IT-gestützte Planungsinstrumente (www.projektcheck.de). Er hat Raumplanung an der TU Dortmund und Städtebau/Stadtplanung an der TU Hamburg studiert und ist Bauassessor Städtebau. Krüger war Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Stadt- und Regionalökonomie der TU Hamburg und bis 2000 Leiter der Konzeptentwicklung der Landesentwicklungsgesellschaft Schleswig-Holstein GmbH. Aktuelle Forschung zur Transformation von Zentren und Innenstädten und „Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und des Online-Handels auf den Einzelhandel in Städten, Gemeinden und Regionen, insbesondere in den Zentren“ für das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Bonn.

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